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Rezensionen Epidemie ohne Ansteckungsgefahr bei Kontakt: Einsamkeit und soziale Isolation im Alter Hajek, A., Riedel-Heller, S. G.& König, H.-H. (2023). Loneliness and Social Isolation in Old Age – Correlates and Implications. London: Routledge. 230 S., 169 € (Hardcover); E-Book: Open Access1 Einsamkeit und soziale Isolation werden in Fachkreisen längst als Epidemie eingestuft oder als „das neue Rauchen“ bezeichnet. Wie drastisch sich Isolation und Einsamkeit auf den Menschen, auf Körper und Seele auswirken, wurde der breiten Öffentlichkeit vor allem durch die Maßnahmen im Zuge der CoronaPandemie bewusst. Schützten Quarantäne und soziale Distanzierung zunächst vor Ansteckung und damit vor körperlicher Versehrtheit, so führten Schulschließungen und häusliche Isolation langfristig vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu psychischen Belastungen mit teils erheblichen Langzeitfolgen. Auch für Erwachsene bis hin ins höhere Alter hat die Pandemie Gefühle von Einsamkeit, Angst und Depression sowie eine insgesamt geringere Lebensqualität erfahrbar gemacht. Dass das Thema nicht neu ist, können viele Psychotherapeut*innen aus der Praxis bestätigen. Und auch in Politik und Gesellschaft erfährt es international zunehmend an Bedeutung: Eine Bekämpfung der altersbedingten Einsamkeit hat sich etwa die World Health Organization (WHO) mit der „UN Decade of Healthy Ageing“ (2021–2030) für dieses Jahrzehnt vorgenommen. In Deutschland hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2022 eine Strategie gegen Einsamkeit auf den Weg gebracht, in Großbritannien existiert seit 2018 sogar ein Ministerium für Einsamkeit. In der Wissenschaft wird das Thema bereits seit Längerem erforscht. Dass die Corona-Pandemie in diesem Zusammenhang auch einen positiven Effekt mit sich gebracht haben könnte, davon sind die Herausgeber*innen von „Loneliness and Social Isolation in Old Age“ („Einsamkeit und Isolation im Alter“) überzeugt, denn aufgrund der weltweit vergleichbaren Erfahrungen sei die Relevanz des Themas stark in den allgemeinen Fokus gerückt worden. Die Wissenschaftler*innen André Hajek, Steffi G. Riedel-Heller und Hans-Helmut König geben mit ihrer bei Routledge in Großbritannien erschienenen Publikation einen sehr umfassenden Überblick über bedeutsame Korrelate von Einsamkeit und sozialer Isolation im Alter. Neben den drei Herausgeber*innen sind weitere renommierte nationale sowie internationale Forscher*innen aus Disziplinen wie der Medizin, Psychologie, Epidemiologie, Soziologie, Ökonomie und Gerontologie als Autor*innen beteiligt. In 18 Kapiteln werden durch empirische Beiträge sowie Zusammenfassungen internationaler Forschungsergebnisse unterschiedlichste Themenaspekte zu Einsamkeit und Isolation im Alter beleuchtet. Wichtig ist den Autor*innen dabei immer der Bezug zur Lebensrealität älterer Menschen. Das Buch widmet sich ausführlich den Themen Pflege, Fürsorge und Betreuung von Enkelkindern bis hin zu Haustieren. Die Rolle der Großeltern als Form der generationenübergreifenden Familienunterstützung habe an Bedeutung zugenommen. Eine chinesische Studie aus dem Jahr 2021 zeige, „dass sich Menschen mit Enkelkindern im Vergleich zu Menschen ohne Enkelkinder seltener einsam fühlen“ (S. 79; eigene Übersetzung). Ein ähnliches Phänomen ist der sogenannte „Haustier-Effekt“, beschrieben von Karen Allen im Jahr 2003. Die Hamburger Wissenschaftler Benedikt Kretzler, André Hajek und Hans-Helmut König verweisen in diesem Zusammenhang auf einen interessanten Aspekt aus der Bindungstheorie, nachdem das menschliche Bedürfnis nach Bindung an ein Tier zwar die Bindung an einen Menschen nur teilweise ersetzen könne, aber gerade ältere Menschen überdurchschnittlich stark dazu neigten, ihr Haustier zu vermenschlichen. Ergänzenden Studien aus Japan und Australien unterstrichen den positiven Effekt auf das soziale Zugehörigkeitsgefühl von Haustierhalter*innen in der Nachbarschaft. André Hajek und Hans-Helmut König lehren und forschen am Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungforschung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, sind Kernmitglieder des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) und untersuchen u. a. Determinanten für erfolgreiches und gesundes Altern. Dazu zählen sie etwa auch das Thema Social Media. Was häufig als jugendliches Medium verstanden wird, hat längst Einzug in die Welt der älteren Erwachsenen gehalten, denn genau wie die Nutzer*innen sind auch Facebook & Co. mit gealtert. Hajek und König gehen davon aus, dass „der Anteil der Personen im höheren Lebensalter, die soziale Medien nutzen, in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen wird.“ Folgerichtig widmen sie dem Thema Social Media ein eigenes Kapitel und geben einen Überblick über empirische Erkenntnisse, die, wie häufig bei diesem Thema, sehr unterschiedlich ausfallen: So könne einerseits die Verbindung zu anderen Menschen digital aufrechterhalten werden, andererseits aber leicht auch der Eindruck entstehen, dass es anderen in Bezug auf soziale Beziehungen besser gehe, etwa durch einseitige Darstellungen. Beide Phänomene existieren, doch es scheint, dass die Nutzung sozialer 1 Verfügbar unter: https://www.taylorfrancis. com/books/oa-edit/10.4324/9781003289012/lo neliness-social-isolation-old-age-andr%C3%A9hajek-steffi-riedel-heller-hans-helmutk%C3%B6nig [01.02.2024]. 58 Psychotherapeutenjournal 1/2024

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